Laufen

Mein Laufen – Wie alles begann

Oktober 2002. Ca. 19 Uhr. Ich habe soeben Feierabend gemacht und stehe mit meinen Kollegen für eine letzte Zigarette vor dem Wochenende zusammen. Es regnet in Strömen und ich habe die stille Hoffnung, dass die Zeit der Zigarette ausreicht, damit der Regen nachlässt oder sogar ganz aufhört. Die anderen lachen darüber, da sie den Vorteil haben, sich mit dem Auto auf den Weg zu machen. Ich dagegen, darf mich auf den Motorroller schwingen und knapp 8 km lang nass werden. Dazu ist die Temperatur mittlerweile empfindlich niedrig. Was folgen sollte, war ein Lebensverändernder Unfall.

Ab in die Nacht

Es hilft leider alles nichts und so fasse ich mir ein Herz und schwinge mich auf den Sattel. Dicke Handschuhe, ein Nierengurt sowie eine wasserabweisende Winterjacke sollten mich vor dem Schlimmsten bewahren. Ich versuche optimistisch zu sein und rede mir ein, dass es gar nicht so dramatisch ist. Außerdem sind es nur ein paar Minuten.

Ich fahre auf die Hauptstraße und bemerke bereits, dass die Wassermengen nicht ganz ungefährlich sind, als ich das erste Mal ins Schlittern komme. Zum Glück kann ich den Großteil der Strecke auf einem breiten Radweg zurücklegen, der auch für meinen Roller freigegeben ist. Der Belag ist gut in Schuss und es gibt keine nennenswerten Pfützen oder gar Spurrinnen.

ein beschlagener helm

Mein Visier beschlägt leicht und ich öffne es einen Spalt weit. Die kalte Luft strömt in den Helm und innerhalb von Sekunden, habe ich wieder freie Sicht. In der Ferne kann ich bereits die Lichter meines Heimatdorfes erkennen und bin froh, dass ich bald wieder im Trockenen sitzen werde. Als ich im Kopf gerade durchgehe, wie ich es mir auf der Couch gemütlich machen werde, blendet mich plötzlich ein Licht. Bevor ich realisiere, was gerade passiert, ist es auch schon zu spät.

„Ich habe dich nicht gesehen“

Von der vielbefahrenen Landstraße, die parallel zum Radweg verläuft, biegt ein Auto ab und möchte den Radweg überqueren. Vermutlich hat der Fahrer die Absicht zu einer der Schrebergartenhütten zu gelangen, die auf der anderen Seite liegen. Ich ziehe beide Bremsen in der Hoffnung, dass ich rechtzeitig zum Stehen komme oder noch ausweichen kann. Im Nachhinein ist mir klar, dass beides utopisch war. Denn zum einen war das Auto schon viel zu nahe und zum anderen gab es nichts, wohin ich hätte ausweichen können. Rechts war die Straße mit den anderen Autos und links ein Graben mit einem kleinen Brückchen.

roller der nach einem Zusammenstoß mit einem Auto auf der straße liegt

Das letzte, woran ich mich erinnern kann, ist dass ich den vorderen linken Kotflügel getroffen habe. In der nächsten Erinnerung liege ich bereits auf dem Radweg in einer der wenigen Pfützen. Ich jappse nach Luft, doch es kommt keine in meiner Lunge an. Für einen Moment befürchte ich zu ersticken. Doch dann merke ich, wie ich wieder beginne zu atmen. Schmerzen habe ich keine, denn das Adrenalin in meinem Körper leistet ganze Arbeit. Was für ein Segen die Natur doch sein kann.

Als ich langsam realisiere, was passiert ist, versuche ich mich zu bewegen. Schnell merke ich jedoch, dass es nicht funktioniert. Ich könnte schon, aber es fühlt sich merkwürdig pelzig in meinem rechten Bein an. Also lasse ich es sein und bleibe ruhig liegen.

Der Fahrer des Autos kommt aufgeregt zu mir gerannt und ruft hektisch: „Ich habe dich nicht gesehen! Ich habe dich nicht gesehen!“. Er will mich bewegen, was ich ihm energisch verbiete. Auch die Tatsache, dass ich in einer Pfütze liege und er mich mehrmals darauf aufmerksam macht, ändert nichts daran. Im nächsten Moment spreche ich bereits mit einem Rettungssanitäter. Was genau ich mit ihm ausdiskutiere, weiß ich nicht mehr.

Der Blackout im Krankenwagen

Wieder kommt ein Filmriss, denn jetzt liege ich im Krankenwagen und der Sanitäter ist eifrig dabei, irgendwelche Sachen in Koffer und Taschen zu verräumen.  Da sich mir das Erlebte wohl schon wieder aus meinem Hirn verzogen hat, frage ich höflich nach.

„Was ist denn passiert?“

Keine Antwort.

„Entschuldigung, können Sie mir sagen was passiert ist?“

Wieder keinerlei Anzeichen von Reaktion. Es wird mir zu bunt. Immerhin liege ich allem Anschein nach in einem Krankenwagen und bin verletzt. Da wird man mir doch wohl erklären können, was passiert ist. Ich werde so laut, wie es meine Zustand eben zulässt.

„Kann mir endlich mal jemand erklären, was mit mir los ist und warum keiner mit mir redet?!“

Das zeigte Wirkung. Der Sanitäter dreht sich zu mir herum und sagt:

„Entschuldigen Sie, es ist nicht böse gemeint, aber ich habe Ihnen die Frage bereits mehrmals beantwortet. Durch die Schmerzmittel können Sie sich aber nicht mehr daran erinnern.“

Huch. „Na gut“, denke ich. Das ist jetzt etwas peinlich, aber was soll ich machen. Ich entscheide mich dafür den Vorfall ebenfalls zu vergessen. Wie man heute sieht, hat das nicht ganz so gut funktioniert.

Wenig später, nach dem einen oder anderen Schmerzmittel-Nickerchen, erklärt man mir, dass ich in die Unfallklinik gefahren und dort operiert werde. Ich habe keine lebensgefährlichen Verletzungen und nur ein paar Knochenbrüche. „Na dann, ist doch alles bestens!“, denke ich, bevor ich wieder einschlafe.

Gefühlt im nächsten Moment wache ich in einem Krankbett auf du bin benommen. Erst mal wach werden. Ich versuche mich intuitiv aufzurichten, was sich schnell als ganz dumme Idee herausstellt. Aus meinem rechten Bein und meinem rechten Arm, ragen unzählige Metallstangen heraus. Bis zu diesem Erlebnis hatte ich keine Ahnung, was Fixateure sind. Nun wusste ich es. Es stellt sich heraus, dass ich Kniescheibe, Oberschenkel, Mittelhandknochen und Unterarm gebrochen habe. Das hat sich gelohnt.

Das Leben geht immer weiter

Die restlichen Tage und Wochen erspare ich euch. Viele weitere Operationen, da mein Oberschenkel nicht richtig zusammenwachsen wollte. Am Ende wurde mir ein Nagel in und eine Platte an die Seite des Oberschenkelknochens gedübelt. Dazu kam, dass die OP-Wunde an meiner Hand nicht richtig verheilen wollte.

mann der mit einem arzt eine rehamaßnahme macht

Die ganzen Rehamaßnahmen dauerten einige Monate und es sollte mir noch zwei Jahre später Probleme bereiten, schmerzfrei zu gehen. Irgendwann waren die Schmerzen aber weg und ich führte wieder ein normales Leben. Nur die Narben und ein leichtes Knirschen im Knie beim Treppensteigen erinnerten mich noch an den Unfall. Ich spielte sogar hin und wieder mit meinen Kollegen Fußball.

Warum ich das so ausführlich schildere? Weil dieser Abend im Oktober mein Leben nachhaltig verändern sollte. Ich möchte jetzt nicht von einem Schicksalsmoment sprechen, aber die Verletzungen bzw. deren Nachwirkungen, haben mich immer wieder vor Herausforderungen gestellt und werden dies wohl auch noch bis an mein Lebensende tun.

Die bekannte Phrase: Glück im Unglück

An dieser Stelle ist es mir wichtig eines zu betonen. Mir ist absolut bewusst, dass meine Probleme klein sind im Vergleich zu denen vieler anderer Menschen. Es gibt etliche Unfallopfer, die fortan an den Rollstuhl gefesselt sind oder eine Prothese benötigen, damit sie sich noch fortbewegen können. Ich berichte hier aber davon, wie es mir geht. Was meine Themen sind und wie sich meine Kniearthrose entwickelt. Denn immer, wenn es mir körperlich schlecht ging, half mir eine Sache aus dem Dilemma heraus. Und darum geht es auf diesem Blog. Das Laufen. MEIN Laufen.

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